Alles begann mit einem Foto von Ágnes Heller vor achtzehn Jahren. Évi Fábián, Fotoreporterin, hat seitdem drei Bücher mit Schwarz-Weiß-Porträts von ungarischen Frauen gefüllt. Sie fotografiert Frauen, die beruflich herausragen und Aufmerksamkeit für ihre Leistungen verdienen. Nun ist ihr drittes Buch „Women in Hungary – Magyar nők III.“ erschienen. Dabei hatte sie ihr Handwerk schon fast aufgegeben.
Seit dem ersten Band 2007 hätten sich die Frauen in Ungarn doch verändert, meint Fábián, die heute wieder in Budapest lebt. „Heute treten sie bestimmter auf, die Gesellschaft scheint sich dennoch zurück zu entwickeln. Alleine schon die Zusammensetzung des Parlaments, das Geschlechterverhältnis ist auffällig“, erläutert die Fotografin. In Ungarn ist der „alte weiße Mann“ fast alleinherrschend in Führungspositionen und auch die öffentliche Stimmung tendiert immer mehr in Richtung: Frau an den Herd. Zwar sind Frauen in Ungarn durchschnittlich höher gebildet als Männer, werden aber dennoch weitaus schlechter bezahlt.
Im Jahr 2004 arbeitete Fábián als Fotografin für die ungarische Online-Zeitung Origo, damals im Besitz der Deutschen Telekom. Als sie für die populärwissenschaftliche Veranstaltungsreihe „Uni für alle“ die international anerkannte Philosophin Ágnes Heller ablichtete, kam die Idee, sie in ihrer vertrauten Umgebung zu zeigen, ihr Alltagsgesicht – ungeschminkt. „Mit Heller hat alles begonnen, von einem Buch war jedoch noch nicht die Rede. Sie war nur die Erste einer Reihe von Frauen, die „ihren Mann stehen“. Die herausragend in ihrem Metier sind und Vorbild sein können für die zukünftige Generation.“
Die ehemalige Wahlberlinerin suchte also nach hervorragenden Beispielen, die zeigen sollen, wie tapfer die Frauen und zu welchen Leistungen sie imstande sind. Das mag im „aufgeklärten“ Westen ziemlich nach letztem oder vorletztem Jahrhundert klingen. In Ungarn ist das Bild der Minderwertigkeit von Frauen jedoch bittere Realität.
Im jetzt erscheinenden dritten Fotoband sind Porträts von Schauspielerinnen, Sängerinnen, Schriftstellerinnen, Fotografinnen, Bildenden Künstlerinnen, Wissenschafterinnen, Ärztinnen, Sportlerinnen, ja Tramwayfahrerinnen, Fliesenlegerinnen und Gebärdendolmetscherinnen vereint, alle bedeutend auf ihrem Gebiet.
Auch Évi Fábián gehört zu den Bedeutenden auf ihrem Gebiet. Dass sie Fotografin wurde, ist die Folge eines Traums. „Eines Nachts, als ich 15 Jahr, träumte ich, dass ich Fotografin bin. Der Traum wirkte auch tags darauf noch so stark, dass ich meinen Vater ersuchte, mich für einen Fotokurs einzuschreiben.“ Die Familie lebte damals in München und Fábián verdiente sich mit Fensterputzen das Geld für die erste Kamera. Ein Jahr verbrachte sie dann als Austauschschülerin im US-Bundesstaat Missouri, wo der Kunstlehrer ihr Talent erkannte und sie fotografieren, entwickeln und vergrößern durfte, so viel sie nur konnte.

Das bekannteste ungarische Politikerfoto der
letzten 30 Jahre ist eine Arbeit von Évi Fábián.
Zurück in Europa, zog sie alleine wieder nach Ungarn. „Mir wurde klar, dass ich noch eine Menge über den Beruf lernen musste. Neben der Schule besuchte ich einen Kurs für Pressefotografie. Später inskribierte ich an der Budapester ELTE mit dem Hauptfach Deutsch, wo ich dann auch meine Diplomarbeit in feministischer Linguistik schrieb. Zur gleichen Zeit machte ich eine Fotografenlehre. Während des Studiums arbeitete ich für den deutschsprachigen Pester Lloyd, für den ich auch Artikel schrieb.“
In den 2010er Jahren ging Fábián wiederum nach Deutschland, kehrte aber mit Frau und Kind nach vier Jahren heim und hängte die Kamera an den Nagel.
Dabei hatte alles so zuversichtlich begonnen. „Als wir nach Berlin zogen, dachte ich, das wäre keine große Sache, denn ich spreche Sprachen, habe mehrere Berufe und einen Abschluss. Aber einen klassischen Acht-Stunden-Job konnte ich mit Kind nicht machen, also arbeitete ich als Familienfotografin für ein großes Unternehmen. Es war echt ein Hamsterrad. Ich bekam jeden Morgen eine Excel-Tabelle und musste zu zwei oder sogar drei Familien gehen. Mit Hintergrund, Licht, Requisiten, allein, ohne Hilfe. Ich machte viele klassische Familienfotos: weißer Hintergrund, Hut, Korb, Häschen, gemeinsames Foto mit Papa, Mama, Hund. Ich traf viele depressive Mütter, die unter ihrer Isolation litten und froh waren, endlich mit einem Erwachsenen sprechen zu können. Sie luden alle ihre Probleme auf mir ab. Ich war 419 Tage lang bei dem Unternehmen beschäftigt und habe in dieser Zeit 417 Familien fotografiert. Ich war völlig ausgebrannt.“
Sie arbeitete, wieder in Budapest, als Gärtnerin, später als Tischlerin. Im Herbst 2019 erhielt Fábián dann einen Anruf von András Bán, einem ungarischen Kunstkritiker und Fotohistoriker. Er fragte nach 10-15 Porträts von Künstlerinnen. „Ich hatte nur acht. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich keine Ahnung, warum András nach ihnen fragte, aber ich sagte ihm, dass ich sehr schnell arbeiten könnte.“ Der Fotohistoriker bereitete mit Marianna Mayer eine Ausstellung in der Budapester Műcsarnok (Kunsthalle) unter dem Titel „Who We Are – Photographs of Artists“ vor.
„Nach einer sechsjährigen Pause nahm ich also meine Kamera wieder in die Hand und kehrte auf einen Weg zurück, den ich aufgrund so vieler Enttäuschungen verlassen hatte. In den wenigen Stunden, die ich mit den ersten zwei Porträtierten verbrachte, war es, als wäre ich durch die Zeit zurückgereist. Ich war überwältigt, spürte eine längst vergessenen Aufregung, Neugierde und die Sehnsucht, etwas zu schaffen. Diese Gefühle waren so intensiv, dass ich – zu meiner großen Überraschung – sofort wieder an die Arbeit gehen wollte. Es gab keinen Übergang, keine Eingewöhnung.“
Das Ergebnis waren fünfzehn Porträts für die Ausstellung und nun – nach Covid und vielen Absagen – dieser dritte Band über 88 starke ungarische Frauen. Fotografiert ganz ohne Blitzlicht.
Fotos von der Eröffnung der Ausstellung zum Buch
(c) Angéla Vaszkó









wunderschön zu lesen! danke