„Einmischung in innere Angelegenheiten” hat die Botschaft der Volksrepublik China am Sonntag auf Facebook dem Budapester Oberbürgermeister, Gergely Karácsony, vorgeworfen, und sein Verhalten als „ungehörig“ bezeichnet.

Am Samstag haben mehrere Tausend Ungar:innen in Budapest gegen das Fudan-Projekt der ungarischen Regierung demonstriert, für das ein bedeutender Teil des Areals der geplanten „Studentenstadt“ („diákváros“) abgezweigt werden soll. Die Studentenstadt, für die das norwegische Architekturbüro eine Vorabplan erstellt hat, sollte unter Anderem 12 Tausend Studierenden günstigen Wohnraum bieten und damit einen Beitrag zur Linderung der studentischen Wohnungsnot leisten und es jungen Leuten aus dem ländlichen Raum erleichtern, ein Studium aufzunehmen. Dieses Projekt wurde vor Kurzen von der Regierung zugunsten des Fudan-Projekts geändert. Kurz gefasst geht es bei diesem darum, dass Ungarn einen Kredit von China aufnimmt, im Wert von 540 Milliarden Forint (ca. 1,5 Milliarden Euro) auf mindestens 26 Hektar im Südosten Budapests voraussichtlich von chinesischen Unternehmen für 5-6000 Studenten einen Universitätscampus mit ca. 520,000 Quadratmetern errichten lässt und diese Infrastruktur in eine Stiftung überführt, über die die Fudan Universität verfügt (der Vertrag darüber wurde in englischer Sprache aufgesetzt und ist öffentlich zugänglich). Die Fudan Universität ist eine angesehene Eliteuniversität mit Sitz in Shanghai, steht aber unter der Aufsicht der Kommunistischen Partei Chinas und hat erst vor Kurzem eine Vereinbarung mit der von der Zentralen Propagandaabteilung der Kommunistischen Partei geführten China Media Group unterzeichnet, die verschiedene chinesische staatliche Medien umfasst. Im Rahmen dieser Vereinbarung wird ein „CMG-Fudan Forschungszentrum für Internationale Übertragungen“ gegründet. Dazu noch eine Boulevardnachricht: am Montag soll Jiang Wenhua, ein an der Fudan angestellter Mathematiker, den Parteisekretär der Universität, Wang Yongzhen, ermordet haben, weil dieser ihn gemobbt habe und für seine Entlassung verantwortlich sein soll.

Auf der Demo gegen die chinesische Universität.
Puh der Bär ist in China quasi verboten.
Foto: Angéla Vaszkó

Die Demonstrant:innen vom Samstag, die vom Heldenplatz vors Parlament gezogen sind (in einer großen Gruppe mit Geimpften und Genesenen, und mehreren kleineren Grüppchen von höchstens 500 Ungeimpften, um die für Kundgebungen noch immer gültigen Coronamaßnahmen einzuhalten), protestierten in erster Linie mit Slogans wie „Wir sind keine Kolonie“ („Nem vagyunk gyarmat“), und erinnerten an das Tian’anmen-Massaker („Heute Fudan, morgen Tian’anmen“), die Ujguren, die Demokratiebewegung in Hongkong und an Taiwan, und natürlich waren auch tibetische Flaggen zu sehen. Außerdem war der sowohl in Ungarn als auch in China beliebte Pu der Bär allgegenwärtig, in Anspielung darauf, dass China mutmaßlich wegen der vielen Memes, die den Präsidenten Chinas, Xi Jinping als Winnie Pu darstellen, den Film „Christopher Robin“ von 2018 nicht in die Kinos gelassen haben soll. Auf dem Platz vor dem Parlament haben dann verschiedene Vertreter der Zivilgesellschaft und Oppositionspolitiker, darunter der Oberbürgermeister von Budapest, Gergely Karácsony, Reden gegen das Fudan-Projekt und für bezahlbaren Wohnraum gehalten und die Menschenrechtsverletzungen in China angeprangert.

Letzteres hat die Chinesische Botschaft offensichtlich tief getroffen, nachdem sich schon einige Tage zuvor der Sprecher des chinesischen Ministeriums für Auswärtige Angelegenheiten zu den symbolischen Straßennamen geäußert hat. Der Oberbürgermeister und die ebenfalls oppositionelle Bürgermeisterin des IX. Bezirks, Krisztina Baranyi, hatten vier Straßen im Bereich des geplanten chinesischen Campus in Dalai-Lama-Weg, Straße der Ujgurischen Märtyrer, Straße des Freien Hongkong und Bischof-Xie-Shiguang-Straße (Xie saß wegen seiner katholischen Aktivitäten 28 Jahre im Gefängnis) umbenannt. Zur Demonstration bzw. der Rede des Oberbürgermeisters äußerte sich ein nicht namentlich genannter Diplomat der chinesischen Botschaft in Budapest in einem langen Facebook-Post. Normalerweise postet die Botschaft instagrammfähige Bilder von Landschaften und Pandas mit ungarischen Überschriften. Der Botschaftsmitarbeiter versuchte, den Regeln des Marketing entsprechend die Leser:innen mit einer persönlichen Note für sich einzunehmen und führte in englischer Sprache aus, dass er seit 10 Jahren mit seiner Familie hier lebe und sich wohlfühle, angesichts der Demonstration aber „verwirrt“ sei, obwohl er wisse, dass dies hierzulande eine anerkannte Form der Meinungsäußerung sei („I’ve been used to this sort of thing for years, which is locally seen as a way of expressing opinions.“). Als er am Fernsehen die Ansprache des Oberbürgermeisters gesehen habe, sei er „schockiert“ gewesen, auch wegen der Plakate, die „Chinas Teilung“ forderten (so seine Interpretation zu den Vorwürfen bezüglich Hongkong und den Ujguren). Der Oberbürgermeister habe sich „unziemlicherweise“ („unseemly“) zu inneren Angelegenheiten Chinas geäußert. Zum Schluss formulierte der Diplomat noch drei Vorschriften, an die der Oberbürgermeister sich zu halten habe: er solle sich um seine Stadt kümmern, mehr für die chinesisch-ungarische Freundschaft tun statt für seine eigenen Interessen, und sich drittens anständig benehmen.

Der Post ist nicht wirklich gut angekommen, und der Text beweist, dass die Vorbehalte der Gegner:innen des Projekts begründet sind. Nachdem die ungarischen Medien davon berichteten, erhielt er bis Dienstag 1200 Kommentare, und neben kurzen Anmerkungen im Sinne von „Tja, so sieht Demokratie aus!“ bemühten sich Zahlreiche, dem Diplomaten verschiedene Aspekte der Demokratie in (teils hervorragendem) Englisch näherzubringen. Woraufhin ein Leser anmerkte, angesichts der Kommentare habe er sein Vertrauen in die ungarische Demokratie wiedergewonnen.

Die Reaktion Chinas auf die Straßenumbenennung und auf die Kundgebung bedeutet ironischerweise natürlich eine Aufwertung sowohl der ungarischen Oppositionsbewegung als auch der Demonstration als Form der Meinungsäußerung. Oder anders formuliert: es lohnt sich.

3 Gedanken zu „Protestieren lohnt sich doch“
  1. Sehr lehrreich! Die Studentenstadt und Straßennamen in Budapest sind eine innere Angelegenheit Chinas und die Chinesen haben eine Rede auf dem Fernseher verfolgt, obwohl die Demonstration von den Regimemedien komplett verschwiegen wurde (ich erinnerte mich dabei an die Proteste gegen die Privatverfassung Orbáns, die als leere Straßenzüge in den Nachrichten vorkamen.) Am Ende ließ Orbán über seinen Amtschef Gulyás verkünden, dass doch bitte erst in 1 1/2 Jahren ein Referendum gehalten werden soll, denn bis dahin sei ja noch nicht alles auf dem Tisch. Scheinheiliger geht es nicht, denn wir wissen ja schon heute, dass das Projekt sehr früh gar nicht mehr gestoppt werden darf! Alles nur damit Orbán auf jeden Fall seinem Freund, dem Chinesischen Kommunisten Xi, eine Universität für unsere Steuergelder schenken darf. ein großer Teil nebenher in die eigenen Taschen fließt und unsere Jugend weniger Chancen hat zu studieren.

    1. Vielen Dank für den Kommentar!
      Im Botschaftstext beziehen sich die „inneren Angelegenheiten“ eigentlich nicht auf die Strassenumbenennung, sondern auf die Ujguren und Hongkong (wobei Hongkong mittels eines internationalen Abkommens und nicht ohne Bedingungen an China abgetreten wurde und daher eben keine „innere Angelegenheit“ ist…) , aber das ganze Statement ist so „bicskanyitogató“, dass die meisten Leser:innen da nicht so genau hingeschaut haben.
      (Es gibt übrigens noch eine völlig unbewiesene Theorie zur Studentenstadt: demnach habe es die Regierung eigentlich auf die Olympischen Spiele 2032 abgesehen und dazu unter dem Deckmantel „Studentenstadt“ ein olympisches Dorf bauen wollen, da aber die Spiele an Brisbane vergeben wurden, sei das Projekt „überflüssig“ geworden und ins Fudan-Projekt umgewandelt worden. Klingt zwar schlüssig, ist aber wie gesagt, völlig unbewiesen.)

  2. Das mit den „inneren Angelegenheiten“ ist so eine Sache. Egal ob kirchlicher oder buddhistischer Würdenträger, Hongkong oder Ujguren, niemand hat China irgendwelche Vorschriften gemacht durch die Straßennamen. Dafür haben die Bürgermeister aber deutlich gemacht was sie denken. Und das ist in Ungarn passiert! Genau wie die Straßen in Ungarn sind. Genau darum ist das so elegant! Orbán verliert das Gesicht und Budapest macht deutlich, was es nicht will.

    Das mit dem olympischen Dorf ist für mich nicht neu, nur glaube ich nicht, dass Budapest das erlaubt. Die Gefahr ein Referendum zu verlieren hat Orbán schon damals zur Absage gebracht. 2024 war damit gestorben, es wird Paris sein. 2028 Los Angeles, 2032 wahrscheinlich Brisbane. Und 2036? Auch wenn Orbán die meisten Sportstätten trotzdem baut, wie will er denn alles in swe Studentenstadt wieder leer kriegen und ich habe noch nie gehört, dass ein olympisches Dorf in eine rund 10 Jahre alte Studentenunterkunft eingezogen ist und bis über 2036 entschieden wird ist Orbán doch hoffentlich Geschichte.

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